Die Privatfotos von Familie Karaağaç zeigen geselliges Beisammensein mit Freunden und Familie auf wenigen Quadratmetern. Trotz fehlender Privatsphäre haben sie Besuch empfangen, erzählt auch Güldane Gönül von ihrer Kindheit. Zwei ehemalige Hotelzimmer teilte sie sich mit ihren zwei Geschwistern und ihren Eltern. Hier schliefen, kochten, spielten und lebten sie. Das Bad und die Toilette am Gang benützte die Familie mit 30 weiteren Personen. Europa habe sie sich anders vorgestellt.
Diskriminierung am Wohnungsmarkt, überteuerte Mieten und fehlender Zugang zu gemeinnützigen Wohnungen bis ins Jahr 2006 machten die Suche nach Unterkünften schwierig. Manche kamen in Firmenwohnungen oder Wohnheimen unter. Die meisten jedoch waren gezwungen desolate Wohnungen zu beziehen. Auch in alten Bauernhöfen, ehemaligen Kranken- oder Gasthäusern wohnten sie Tür an Tür mit einkommensschwachen Österreichern. Sogenannten „ortsüblichen Standard“, wie es das Gesetz für die Unterkünfte forderte, hatten sie selten. Ein Mietvertrag war jedoch die notwendige Voraussetzung für ein Arbeits- und Aufenthaltsrecht.
Aufgrund der beengten Wohnsituation spielte sich das Leben häufig in Hinterhöfen, Straßen und Parks ab. Nachbarschaftshilfe war wichtig. Sogenannte „Ghettos“, wie der Stadtteil St. Nikolaus in Innsbruck, machten Schlagzeilen und wurden als Problemviertel abgestempelt.
Bei Razzien wurden regelmäßig die Papiere und Wohnstandards der Zugewanderten überprüft. Wolfgang Reismann, ehemaliger Baubeamter der Stadt Hall, erzählt, wie er gemeinsam mit der Fremdenpolizei und andere Beamten meist abends oder nachts die Quartiere kontrollierte. Geschockt ist er gewesen von der menschenunwürdigen Behandlung und verurteilt dies heute. Konsequenzen für den Hausbesitzer gab es selten, kritisiert er.
Viel scheint sich jedoch nicht geändert zu haben. Migrationshintergrund ist oft immer noch ein Hindernis am Wohnungsmarkt. Und lesen wir derzeit nicht auch wieder von Razzien in Flüchtlingsheimen?
Bericht über Kontrollen von „Gastarbeiterunterkünften“ durch österreichische Behörden, „Haller Lokalanzeiger“, 17.2.1978
Leihgabe von TLM/Bibliothek
In Imst angekommen, wurde Nevin Genç ins Wohnheim von Jenny & Schindler gebracht. Zwei Tage später lässt sie sich davor fotografieren um das Foto der Familie als Erinnerung zu verschicken. Der Löffel, den die 17-Jährige im Wohnheim zur Nutzung bekam, gehörte wohl bereits seit den 1940ern zum Inventar.
Leihgaben von Nevin Genç
Gegenstände wie diesen Radioapparat und dieses Bügeleisen kaufte Nevin Genç 1972 von den ersten ausgezahlten Löhnen bei Jenny & Schindler.
Leihgaben von Nevin Genç
Familie Karaağaç wohnte in den 1970er Jahren in der Rosengasse in Telfs.
Originale bei Dilek Tosun Karaağaç
Bericht über unzumutbare Wohnverhältnisse in Wohnungen von „Gastarbeitern“ im Innsbrucker Stadtteil Hötting und Leserbriefe mit kritischen Stellungnahmen.
Tiroler Tageszeitung, 1970
Der Samowar links ist ein oft benutztes Erinnerungsstück an die Familie in der Türkei. Er ist heute noch in Verwendung. Der Samowar rechts ist ein Geschenk von türkischen ArbeitsmigrantInnen an ihren Vorgesetzten bei Jenny & Schindler in Telfs.
Leihgaben von Filiz Calayır und Noaflhaus Telfs/Werner Seib